Predigtarchiv

Predigt am 1. Advent 2022 Matthäusevangelium 21,1-11

Von Pastor Gerd Peter

Die Bank vor dem Haus (Anselm Grün)

Wer sich bewusst die Zeit nimmt, einfach nur da zu sein, der wird erfahren, wie viel Zeit er gewinnt. Die Zeit gehört ihm. Früher gehörte zu jedem Bauernhof eine Bank vor dem Haus. Da saßen oft die Großeltern und schauten einfach zu. Oder sie saßen am Abend auf dieser Bank und nahmen einfach nur wahr, wie der Tag sich neigte, wie alles still wurde. Sie taten nichts. Aber es ging von ihrem Dasein ein großer Friede aus. Man spürte, wie sie die Zeit genießen konnten. Sie arbeiteten viel. Aber sie hatten auch die Fähigkeit, einfach nur da zu sein. Die Zeit hat für sie eine andere Qualität bekommen. Sie war kein Tyrann mehr, sondern eine Einladung zur Dankbarkeit, eine Einladung zum reinen Dasein. Solche Augenblicke, in denen ich absichtslos einfach nur da sitze und den Gedanken nachhänge, sind oft sehr fruchtbare Momente. Da kommen mir neue Ideen. Wenn ich ein Problem in solches "Nichts-Tun" mitnehme, dann löst es sich. Es relativiert sich zumindest. Und oft genug finde ich gerade in solchen Augenblicken eine Lösung, auf die ich durch angestrengtes Nachdenken nicht gekommen bin.

Matthäusevangelium 21,1-11

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«
Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

Predigt

Nun hat sie wieder begonnen, die Adventszeit. Keine andere Zeit im Jahr ist so verknüpft mit Bräuchen, Erinnerungen und Erwartungen. Aber sie ist auch eine widersprüchliche Zeit. Auf der einen Seite sollen Besinnlichkeit und Ruhe diese Zeit bestimmen. Auf der anderen Seite ist sie im Handel die umsatzstärkste und im Kulturbetrieb die veranstaltungsreichste Zeit im Jahr. Zu keiner anderen Jahreszeit werden so viele Grußkarten und Geschenke verteilt. Vereine, Institutionen, Einrichtungen – alle laden sie in diesen Wochen zum gemütlichen und geselligen Miteinander ein. Auch aus diesem Grund empfinden manche sie als die stressigste Zeit im Jahr.
Und dann ist die Adventszeit ja auch die Vorbereitungszeit auf das große Fest, das Weihnachtsfest. Einladungen werden ausgesprochen, Speisepläne erstellt, Häuser geputzt, Wohnungen geschmückt, Einkäufe erledigt, Geschenke besorgt, Tannenbäume gekauft und auch der eine oder andere Besuch auf einem Weihnachtsmarkt gehört dazu. 
Alles hat sein gutes Recht zu sein! Nichts von dem genannten ist an sich schlecht! Dennoch steht dieses besinnungslose Treiben der Adventszeit in großer Spannung zum besinnlichen Innehalten und zur Besinnung auf den eigentlich biblisch-christlichen Kern dieser besonderen Zeit.  
Das große Thema der Adventszeit ist das Warten, die Erwartung – und zwar das Warten auf etwas großartiges, die Erwartung von etwas wunderbarem, das Warten auf und die Erwartung von Gottes Ankunft und Gegenwart. 
Warten fällt mir nicht leicht. Als Kind konnte Weihnachten nie schnell genug kommen. Und bis heute sind Warteschlangen, rote Ampeln und verspätete Züge mir ein Graus. Ich mag es einfach nicht, darauf warten zu müssen, dass das Ziel erreicht wird. 
Viel schöner empfinde ich das Leben in Erwartung. Wir freuen uns schon lange drauf, mit den Kindern und Enkeln bald wieder zusammenzukommen. In der Erwartung steckt Energie, Kraft, Vorfreude und Hoffnung. 
Zu Beginn haben wir die Gedanken von Anselm Grün zur Bank vor dem Haus gehört. Es sind Gedanken, die zur Pause einladen, zu Momenten des „einfach-nur-da-sein“. Warum nur fällt es mir und vielen anderen so schwer, dieser Einladung zu folgen. Ob es die Angst ist, etwas zu verpassen?
Ursprünglich war die Adventszeit als eine Zeit der Buße, des Fastens und der selbstkritischen Einkehr gestaltet. Das kommt im Gottesdienst auch in der violetten Farbe der Stola und des Altartuchs zum Ausdruck. Hintergrund dieses Konzeptes ist die Überlegung: Wenn wir an Weihnachten die Ankunft des göttlichen Retters feiern, dem es zu begegnen gilt, dann tun wir gut daran, uns auf diese Begegnung mit Gott vorzubereiten, damit sie uns auch bewusst ist. Begegnung mit Gott ist nichts banales oder alltägliches, wiewohl sie gerade im Alltag geschieht. Die Begegnung mit Gott – zumal, wo sie bewusst wahrgenommen wird – kann erschrecken, sie kann aus der Bahn werfen, sie kann Lebenswege grundlegend verändern. Sie kann aber auch unendlich froh machen, Halt geben und ungeahnte Kräfte frei setzen. Begegnung mit Gott kann beides auslösen – tiefe Verunsicherung und Infragestellung meines Lebenskonzepts oder auch tröstliche Bestätigung und Bekräftigung. Begegnung mit dem lebendigen Gott kann mich aller vermeintlichen Sicherheiten berauben. Sie kann mir aber auch ungeahnte Sicherheit schenken. 
Wie die Adventszeit bringt auch die Erzählung vom Einzug Jesu nach Jerusalem, vom Ritt auf dem Esel, die eingangs beschriebene Spannung zum Ausdruck. Zum einen ist da die lautstarke und begeisterte Menschenmenge, die regelrechte Volksfeststimmung verbreitet. Das Bild Fahnen schwenkender und jubelnder Fans  steht mir dabei vor Augen. Zum anderen entsteht vor meinem inneren Auge aber auch das Bild von skeptischen, fragenden Menschen, die sehnsuchtsvoll darauf warten, dass das Recht zu seinem Recht kommt, dass die Güter gerecht geteilt werden und die Kunstgriffe der politischen Rhetorik endgültig als Lüge überführt werden. Suchend fragen sie: Wer ist der, der da auf diese Weise in die Stadt einzieht. Ist er es, nach dem wir uns sehnen und auf den sich unsere Hoffnungen richten? Begegnet uns Gott in diesem Jesus? 
Wenn wir heute diese Geschichte hören, wohl wissend, dass viele von denen, die Jesus lauthals bejubeln, ihn wenig später ebenso laut mit „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“ ans Messer liefern, dann stellt sich uns die Frage: „Wer bin ich? Wie begegne ich diesem Jesus? Wie verhalte ich mich zu ihm?“ Oder wie Paul Gerhard gedichtet hat: „Wie soll ich dich empfangen, und wie begegne ich dir?“ Jeder mag die Adventszeit nutzen, um seine persönliche Antwort auf diese Frage zu finden und zu geben. 
Dazu noch ein Gedanke, der sich aus den biblischen Texten und den Liedern zur Adventszeit ergibt: Eine besinnliche Adventszeit bedeutet nicht Gefühlsduselei. Ganz im Gegenteil. Wer sich darauf besinnt, dass Gott zu uns kommt, um Recht, Gerechtigkeit, Heil und Frieden zu bringen, der wird sich nur schwer den widersprüchlichen Tatsachen des real existierenden Alltags entziehen können. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ haben wir zu Beginn des Gottesdienstes gesungen. Stellen Sie sich vor: Alle, wirklich alle, die in dieser Adventszeit in dieses Lied einstimmen, lassen den Worten Taten folgen und bauen politischen Druck auf, damit nicht einer von den Migranten und Migrantinnen, die auf hoher See oder vor gesicherten  Grenzen auf Einlass und Asyl warten, vor abgeriegelten Häfen und verrammelten Barrikaden steht? Stellen Sie sich vor: Bei jedem Migranten und jeder Migrantin fragen wir wie im Evangelium: „Wer ist der/die?“ Und wir bekommen zur Antwort. „In diesem Menschen begegnet dir Gott.“

Predigt am Erntedankfest 2022 - Predigttext: 5. Mose 8,7-18

Von Pastor Gerd Peter

Ein halbes Jahrtausend vor Christus. Palästina hat lange unter der Fremdherrschaft der Babylonier geächzt. Die hatten im Zuge der Eroberung die Hauptstadt Jerusalem verwüstet und die soziale Oberschicht an den Euphrat deportiert. Aber das ist nun Geschichte. 50 Jahre später haben die Perser die Vorherrschaft errungen. Sie ermöglichen den Deportierten die Rückkehr in die Heimat und den Wiederaufbau der zerstörten Hauptstadt mit dem Tempel.

Wie konnte es zu so einer Katastrophe überhaupt kommen? Und was ist nötig, damit nach dem Wiederaufbau des Landes ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit dauerhaft gelingt? Das fünfte Buch Mose versucht eine Antwort zu geben, indem es an die Anfänge der Geschichte des Volkes Israel erinnert. Das geschieht in Form einer fiktiven Abschiedsrede des Mose kurz vor dem Einzug ins Gelobte Land:

Mose sprach zum Volk: Der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.

So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst.

Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte. Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen.

Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.

Liebe Gemeinde,

mir geht’s gut, richtig gut. Ich habe alles, was ich brauche, und noch viel mehr. Ich habe genug, ja sogar mehr als genug. Mir fehlt es an nichts! Gott sei Dank! Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich weiß nicht, warum es anderen Menschen an allem fehlt und ich selbst so reich beschenkt bin. Ich weiß nicht, warum andere Menschen vor Krieg und Terror fliehen müssen und ich selbst mich in meiner sicheren Wohnung in einer friedlichen Stadt geborgen fühlen kann. Ich weiß nicht, warum andere von schweren Krankheiten geplagt werden und ich selbst mich bester Gesundheit erfreue. Ich weiß nicht, warum andere in innerfamiliären Konflikten zerrieben werden und ich selbst in meiner Familie verlässlichen Rückhalt erfahre. Ich weiß nur: ich habe genug und mir geht’s gut. Und dafür bin ich von Herzen dankbar.

Es hätte auch anders kommen können. Wäre der Schlaganfall, von dem ich vor 25 Jahren, als meine Kinder noch klein waren und ich noch nicht verbeamtet war, überrascht wurde, etwas heftiger ausgefallen, hätte ich womöglich meinen Beruf nicht mehr ausüben können…  Oder als vor 4 Jahren, kurz nachdem ich von der Autobahn abgefahren war, plötzlich bei meinem Auto die Vorderachse wegbrach, hier im Stadtteil in der 30er Zone… Es hätte auch alles anders kommen können. Und es kann jederzeit anders kommen! Zu leben ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit!

Wenn auch die Medien dem Grundsatz folgen: „Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“, so wünschte ich mir doch, dass wir in unseren christlichen Gemeinden den guten Nachrichten viel mehr Raum geben. Kürzlich sagte mir eine Verkäuferin: „Wir haben ja nicht viel zu lachen in dieser Zeit.“

Warum eigentlich nicht? Wir haben so viel lachen, wenn wir ein Leben in Wohlstand und Überfluss nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen und damit geringschätzen. Wir haben so viel zu lachen, wenn wir aufhören, uns vor der Zukunft zu fürchten. Wir haben so viel zu lachen, wenn wir mit Dank empfangen, was uns im Leben alles geschenkt wird, und worauf niemand einen Anspruch geltend machen kann. Wir haben so viel zu lachen, wenn es gelingt, genügsam zu leben, es sich genügen zu lassen.

Ich gebe zu, es wird uns nicht leicht gemacht. Eine Wirtschaftsordnung, deren oberstes Gebot Wachstum lautet, ist unvereinbar mit Genügsamkeit. In einer Wirtschaftsordnung, die auf ständig steigenden Konsum und höhere Nachfrage setzt, bleibt wenig Raum für Dankbarkeit. Eine Wirtschaftsordnung, die Rezession mehr fürchtet als der Teufel das Weihwasser, wird immer Zukunftsangst schüren.

Allerdings ist diese Wirtschaftsordnung nicht gottgegeben, sondern menschengemacht. Die Verlogenheit dieser Ordnung wird auf die Spitze getrieben, wenn im Rahmen dieses Konstruktes auch noch von Nachhaltigkeit und ökologischer Verträglichkeit gefaselt wird. Die Rede vom dauerhaften „Grünen Wachstum“ ist eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. In der gesamten außermenschlichen Natur gibt es so etwas nicht. Warum sollte es beim Menschen also möglich sein?

Liebe Gemeinde, es gibt sie, die Menschen, die aus dieser Ordnung ausscheren. Menschen, die sich mit wenig begnügen. Menschen, die reparieren statt wegzuwerfen. Menschen, die nicht zuerst auf das Preisschild schauen, sondern nach den sozialen und ökologischen Kosten fragen. Menschen, die bereit sind zu teilen, um denen, die nicht genug haben, ein besseres Auskommen zu ermöglichen. Das ist es, was der Predigttext meint, wenn er sagt: „So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst. ... Hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst.“

Dankbarkeit entsteht aus dem Bewusstsein, dass das Leben mit allem, was es an Gutem bereit hält, ein Geschenk Gottes ist. Darum heißt es zum Schluss: „Gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.“

Liebe Gemeinde, ähnlich wie vor 2.500 Jahren beschäftigt heute viele Menschen die Frage nach zukunftsfähigen Lebensweisen nicht nur in unserem Land sondern auf diesem Planeten. Entscheidend geht es dabei nicht um Moral, sondern um eine Geisteshaltung, die dankbar das Leben als ein Geschenk betrachtet. Und als gläubige Menschen sagen wir: Gott, dir verdanken wir uns und alle Möglichkeiten, die das Leben uns bietet. Dir, Gott, sei Lob und Dank!

 

Predigt am 31. Juli 2022 (7. Sonntag nach Trinitatis) zu Joh. 6, 1-15

Von Pastor Gerd Peter

Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. 
Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?
Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren. 
Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Als Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen,  um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.


Liebe Gemeinde,
„Wir leben in schwierigen Zeiten.“ Auf allen Kanälen schallt es einem entgegen. Flüchtlingskrise, Klimakrise, Umweltkrise, Coronakrise, Hungerkrise, Energiekrise – Krisen über Krisen.
Chipmangel, Baustoffmangel, Arbeitskräftemangel, Gasmangel – es mangelt an allem, manchmal sogar an Klopapier. 
Lieferengpass, Beschaffungsengpass, Finanzierungsengpass,  Versorgungsengpass, Transportengpass – nichts als Probleme. Manchmal scheint es, als wäre die Frauenfußball-nationalmannschaft der einzige Lichtblick in diesem tristen Leben in diesem elenden Land.
Also – ich, ganz persönlich, mal abgesehen von den persönlichen Erfahrungen von Krankheit, Trauer und Verlust, die jeden von uns betreffen, erlebe keine Krise.  Allenfalls, wenn ich meine eigene Unzufriedenheit mal nicht in den Griff bekomme, kriege ich die Krise.  Ich erlebe auch keinen Mangel. Allenfalls, wenn ich zu träge bin oder zu lange am Schreibtisch sitze, spüre ich Bewegungsmangel. Und die Engpässe die ich erlebe, beschränken sich im wesentlichen auf die vielen Autobahnbaustellen. 
Nicht, dass man mich für einen Zyniker halte: Alles, was ich am Anfang genannt habe, sind in der Tat große Aufgaben und Herausforderungen, die nicht einfach zu lösen und zu bewältigen sind. Aber sie sind zu bewältigen! Es ist uns möglich, Flüchtlinge aufzunehmen! Es ist uns möglich, in großem Umfang Energie einzusparen! Es ist uns möglich, weniger Ressourcen zu vergeuden und die vorhandenen effektiver und nachhaltiger zu nutzen! 
Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt mit einem der besten Gesundheits- und Vorsorgesystemen, fruchtbaren Ackerböden, ausgezeichnetem Bildungswesen und freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Wo, wenn nicht hier, sollte es möglich sein, auf kreative Weise ganz viele dieser Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen?! Wird es etwas kosten? Ja! Wird es Anstrengungen bedeuten? Ja! Wird es auch Verzicht und Einschränkungen mit sich bringen? Ja! Sei´s drum. Es gibt genügend Menschen in diesem Land, denen all das nicht weh tun wird, ohne dass auch nur einer von den vielen Armen, die es in diesem reichen Land auch gibt, damit belastet werden müsste! 
In der Evangeliumslesung haben wir gehört, wie Jesus seinen Jüngern die schier unlösbar erscheinende Aufgabe zuweist, die vielen Menschen, die ihnen gefolgt waren, mit Brot zu versorgen. Die Antwort der Jünger ist naheliegend: Das geht nicht. Es reicht nicht. Geld ist nicht genug da. Und das, was das eine Kind an Proviant dabei hat, reicht schon gar nicht. Die Jünger waren im Krisenmodus. Sie sahen nur den Mangel und die Probleme. Ganz anders Jesus. Er schaut auf das, was vorhanden ist. Das wenige nimmt er dankbar aus Gottes Hand. 
In der Erzählung wird fast beiläufig erwähnt, dass die Begebenheit sich unmittelbar vor dem Passahfest ereignet. Es ist das höchste jüdische Fest, das in Erinnerung an die Befreiung hebräischer Sklaven aus der Sklaverei in Ägypten gefeiert wird. Dass es Sklaven gelingen könnte, erfolgreich aus dem Zentrum der damaligen Weltmacht in die Freiheit zu entkommen, war nach menschlichem Ermessen mindestens so unwahrscheinlich, wie 5000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen satt zu bekommen … Zum Glück ist menschliches Ermessen nicht das Maß aller Dinge zwischen Himmel und Erde!
Und natürlich führte der lange Weg in die Freiheit durch viele Schwierigkeiten und Entbehrungen hindurch. Es war kein Spaziergang. Er konnte nur gelingen durch Solidarität und Gottvertrauen. Auch daran wird am Passahfest alljährlich erinnert. Bis heute! 
Wenn in unserem reichen Land immer nur von Krisen, Mangel und Engpässen gesprochen wird, zeugt das von einer sehr eingeschränkten Weltsicht. Wer im eigenen Überfluss ständig den Mangel beklagt und in friedlichen Zeiten ständig von Krisen spricht, was bleibt dem dann noch, wenn es wirklich mal kritisch wird und es am Nötigsten mangelt?
Solidarität und Gottvertrauen sind die beiden Stichworte, die entscheidend sind. Denn sie beschreiben den geistig-spirituellen Reichtum, aus dem heraus materieller Mangel seinen Schrecken verliert und sich in Überfluss verwandeln lässt. Lebendiger Glaube öffnet dafür den Weg. So sind wir aufgefordert, hier und heute, im Blick auf die Menschen, denen alles fehlt, was zum Leben not tut, die sich auf der Flucht vor Hunger und Krieg befinden, denen das Ackerland verdorrt ist. 
Und wenn ich mal in Not geraten sollte - was ich mir nicht wünsche -, dann hoffe ich darauf, Menschen zu treffen, denen Solidarität und Gottvertrauen keine Fremdworte sind. 
Zum Schluss eine Erzählung mit dem Titel „Brot des Lebens“ (Quelle ist mir leider nicht bekannt)
Der Geheime Medizinalrat Breitenbach ist gestorben. Seine Söhne ordnen den Nachlass und finden in einer Vitrine einen völlig vertrockneten harten Klumpen Brot. Die alte Haushälterin weiß noch die Geschichte dazu. 
In den Hungerjahren nach dem Krieg war der alte Herr todkrank, da schickte ihm ein Freund dieses halbe Brot. Doch der alte Herr dachte an die kranke Tochter des Lehrers nebenan und dass sie es nötiger brauchte als er und schickte ihr das Brot. Die Lehrersfrau gab das Brot einer alten Witwe, die im Dachgeschoss in einem Zimmer hauste. Die Witwe gab das Brot aber ihrer Tochter, die mit zwei kleinen Kindern unten im Keller wohnte. Diese junge Frau aber erinnerte sich an den alten Medizinalrat. Er hatte ihre Kinder immer wieder kostenlos behandelt, und nun lag er todkrank da oben. Das war für sie die Gelegenheit, ihm zu danken. 
››Wir haben es gleich wiedererkannt«, erzählte die frühere Haushälterin, ››dass es das Brot war, was wir weggegeben hatten. Wir erkannten es an der Marke und an den bunten Bildchen auf dem Boden.« Tief erschüttert nimmt der Medizinalrat das Brot wieder an und legt es in die Vitrine. Zur Erinnerung, als Zeichen gegen Hoffnungslosigkeit. Das Brot hatte viele satt gemacht, ohne gegessen zu werden. Es hatte vielen Hoffnung gegeben und Vertrauen geschenkt.

Predigt am 17. Juli 2022 (5. Sonntag nach Trinitatis) zu 1. Mose 12, 1-4

Von Pastor Gerd Peter

Aufbrechen, einen neuen Weg einschlagen – das ist ein Thema, das in der Bibel häufig auftaucht. Wir haben als Evangeliumslesung die Erzählung von Petrus gehört, der aufgefordert wird, nach einer erfolglosen Nacht noch einmal aufzubrechen. Dieser Aufbruch war von großartigem Erfolg gekrönt. Und am Ende der Erzählung steht die Aufforderung Jesu zu einem viel tiefgreifenderen Aufbruch: „Lass deine Netze zurück und folge mir nach! Verlass dein bisheriges Umfeld und lass dich auf mich und auf meine Sache ein!“ 

Als Predigttext möchte ich eine weitere Aufbruchsgeschichte lesen. Sie steht im Alten Testament, ziemlich am Anfang der Bibel, und erzählt von Abraham ... 
Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. 

Wie mag Abraham das erlebt haben, dieses Sprechen Gottes zu ihm, diese auffordernden Worte, den Aufbruch zu wagen? War es ein Traum? War es das Ergebnis langer Grübeleien? War es eine spontane Eingebung? Vielleicht war Abraham aber auch nur an einen Punkt in seinem Leben gekommen, wo ihm klar wurde: „So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Zukunft sieht anders aus, als das, was ich bisher kannte.“ Und in dieser Klarheit sah er Gott am Wirken, dem er sich bislang anvertraut hatte, und dem er auch weiterhin vertrauen wollte. 

Während in Abraham der Entschluss reifte, den Aufbruch zu wagen und sich auf einen neuen, unbekannten Weg zu machen, mag er auch viele innere und äußere Widerstände zu überwinden gehabt haben. Ob seine Familie sofort einverstanden war? Ob Nachbarn und Verwandte ihn nicht für verrückt erklärt haben? Ob er sich in seinem bereits weit fortgeschrittenen Alter dieses Abenteuer noch zutraute? Am Ende überwiegt das Zutrauen in die Zusage Gottes: „Ich werde dir Weg und Ziel zeigen. Ich werde dich mit meinem Segen begleiten. Ich werde dafür sorgen, dass du selbst zum Segen für andere Menschen wirst.“ Im Vertrauen auf die Verheißung Gottes bricht Abraham auf.

Auf der Gemeindeversammlung vor drei Wochen wurde deutlich, dass wir als Kirchengemeinde an einem ähnlichen Punkt angekommen sind wie Abraham. Die bisherigen Planungen für den Neubau einer KiTa und eines Gemeindezentrums lassen sich so nicht realisieren. Die Grundentscheidungen und Überlegungen der letzten Jahre, die dem Architektenwettbewerb und den Planungen zugrunde lagen, sind durch die jüngsten Entwicklungen fragwürdig geworden. Pandemie, Förderstopp und Krieg in Europa haben den beschrittenen Weg abrupt mit einem Schlagbaum versperrt. Ob er je wieder geöffnet wird, kann im Augenblick niemand vorhersagen. 

In dieser Situation höre ich heute die Worte der Heiligen Schrift. Ich höre die Aufforderung zum Aufbruch, wie sie Petrus und Abraham vernommen haben. Ich höre auch die Worte der Verheißung: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein! Petrus wusste nicht, was ihn erwarten würde, als er am helllichten Tag noch einmal die Netze auswarf. Abraham wusste nicht, wer und was alles ihm begegnen würde, als er, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben, aufbrach und alles, was er von Kind auf kannte, hinter sich ließ. Auch wir stochern z. Zt. im Dunkeln und wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. Aber als Kirchengemeinde haben wir nichts zu verlieren, wenn wir diese Situation jetzt nutzen, um uns von altbekannten Bildern, wie Kirche zu funktionieren hat, zu verabschieden und neue Bilder zu entwickeln. Noch sehe ich diese neuen Bilder nicht klar vor mir. Aber ich will darauf vertrauen, dass Gott auch uns hier in Stöcken auf dem Weg begleitet und neue Bilder vor unseren Augen entstehen lässt. Ich will darauf vertrauen, dass wir seinen Segen erfahren werden, auf den Wegen, von denen wir noch nicht wissen, wohin sie uns führen. Und dass wir als Kirchengemeinde – gerade in dieser ungewissen und manchmal auch bedrückenden Situation – anderen Menschen zum Segen werden.

Die Aufforderung zum Aufbruch höre ich aber auch noch in anderer Weise. Während allenthalben die Forderung nach Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine ertönt, höre ich die Aufforderung, in das Land des Friedens aufzubrechen. Zu sehr misstraue ich den moralischen Argumenten, die der Westen ins Feld führt, um Öl ins Kriegsfeuer zu gießen. Es ist immer noch derselbe Westen, der vor gar nicht langer Zeit im Irak einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt hat, ohne sich jemals selbstkritisch zu diesem Rechtsbruch zu bekennen und entsprechend Verantwortung zu übernehmen. So sehr ich den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteile, so wenig glaube ich daran, dass Frieden durch Waffen zu erlangen ist. Waffen töten Menschen. Und jeder Kriegstote, egal auf welcher Seite, schürt Hass. Gott ruft uns auf, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen und alle Konsequenzen auf uns zu nehmen, die der Gewaltverzicht nach sich zieht.

Als Mahatma Gandhi seinerzeit zu gewaltfreiem Widerstand gegen die Kolonialmacht aufrief, war es ein gewagter Aufbruch in unbekanntes Neuland. Das war kein Spaziergang, sondern ein steiniger Weg durch Dornen und Gestrüpp, aber er führte zum Frieden. „Ich will euch segnen und ihr sollt ein Segen sein!“ Diese Verheißung Gottes gilt nicht den Feldherren und nicht den Soldaten, die die Haubitzen abfeuern, egal auf welcher Seite. Sie gilt denen, die die alte biblische Friedensvision umsetzen und aus Schwertern Pflugschare schmieden. 

Von Abraham hören wir, er sei 75 Jahre alt gewesen, als er aufbrach aus den vermeintlichen Sicherheiten seiner gewohnten Umgebung. Glaube macht mobil, auch im hohen Alter. Davon will ich mich anstecken lassen! Denn diese Mobilität werden wir brauchen, damit auch die noch nicht Geborenen eines Tages auf dieser Erde leben und sich als Gesegnete erfahren können.