Predigt

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias 2023, Exodus 32,17-23

Der HERR sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.  Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. (Ex 32,17-23)

Hat jemand von Ihnen schon einmal bei einer Sonnenfinsternis ohne Augenschutz in die Sonne geblickt? Oder haben Sie schon einmal beim Schweißen mit bloßem Auge in die Schweißflamme geschaut?

In der Kirche in Steinhude, in der ich für einige Jahre tätig war, sind im Fenster an der Ostseite hoch über dem Altar Prismen eingebaut. Bei Sonnenschein zaubern diese Prismen morgens zur Gottesdienstzeit wunderschöne Farbspektren – kleine Regenbögen - in die Kirche - je nach Sonnenstand auf den Boden, an die Wand oder ans Gewölbe. Naiv und neugierig wie ich war, habe ich mal direkt in den Regenbogen hineingeschaut. Das hätte ich besser lassen sollen, denn das gebündelte Licht hat die Augen völlig überfordert. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich wieder klar sehen konnte. Egal, ob eine Schweißflamme, das ungefilterte Sonnenlicht oder einige gebündelte Sonnenstrahlen, es ist einfach zu viel des Guten, und es kann dauerhafte Schädigungen bis hin zu Blindheit verursachen.

Hört einen Abschnitt aus der Bibel (Ex. 32): …

Gott sehen – ein alter Kindheitstraum. „Wenn ich Gott doch mal sehen könnte. Wenn ich doch wüsste, wie er aussieht. ...“ Es fällt manchmal schwer, sich mit Gottes Unsichtbarkeit abzufinden und trotzdem Vertrauen in ihn zu setzen. Offenbar ging es auch Mose so.

Sehen hat für uns Menschen einen besonderen Stellenwert. Bis dahin, dass Menschen sagen: Ich glaube nur was ich sehe. Auf der anderen Seite sind in allen Kulturen dem Sehen Grenzen gesetzt. Es gibt Tabus. Dinge und Bereiche, die niemand – oder zumindest nicht jeder - sehen soll. Darum verhüllen wir bestimmte Körperteile mit besonderer Sorgfalt, bauen Sichtschutzzäune, verschließen Türen. Dem Sehen werden Grenzen gesetzt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass dem Sehen häufig das Haben-wollen, das Verfügen-wollen, das Besitzen-wollen folgt ...

Aber es gibt auch Anblicke, die uns schlicht überfordern. Viele Feuerwehrleute und Ersthelfer werden geplagt von Bildern, die sie viel lieber nie gesehen hätten. Es sind düstere, schreckliche Bilder, die vielleicht nicht so sehr den Augen wehtun, aber umso größere Schmerzen in der Seele auslösen.

Nach der biblischen Erzählung wird dem Mose der Anblick von Gottes Glanz und Herrlichkeit verwehrt, weil er ihn nicht hätte aushalten können. Der Anblick hätte seine Augen überfordert, ähnlich wie ein ungeschützter Blick in gleißendes Sonnenlicht.

In einem Umfeld, wo an vielen Orten Stierbilder und andere Götterstatuen zu betrachten waren und kultisch verehrt wurden, wird hier ein völlig anderer Gott zur Sprache gebracht. Die Götzenbilder verdanken ihre Existenz menschlicher Handwerkskunst und – das sollte nicht übersehen werden – sie stehen im Dienst der jeweils Herrschenden. Daran hat sich bist heute nichts geändert. Die selbstgemachten Götzen unserer Zeit, seien es Ideologien und Staatsdoktrinen, sportliche Großereignisse oder Spitzentechnologie - sie werden allesamt von den Herrschenden vereinnahmt.

Ganz anders der biblische Gott. Er beugt sich nicht den Interessen von Menschen. Nicht er verdankt seine Existenz dem Menschen, sondern er selbst ist der Ursprung von allem was ist. Da bleibt nichts als Staunen. Kein menschlicher Blick kann ihn fassen. Der biblische Gott offenbart sich nicht, indem er sich als sichtbare Gestalt zeigt. Er offenbart sich durch das Wort. Er nennt Mose seinen Namen: „Ich bin gnädig und voller Erbarmen.“ Dieser Name ist Programm. Und er ist wichtiger, als alles, was Mose von Gott zu sehen bekommt. Gott spricht. Er kommuniziert. Er pflegt den Dialog. Nicht im Sehen sondern im Hören ist Gott zu erkennen. Darum beschäftigen wir uns schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden mit den Worten der Heiligen Schrift, denn wir glauben, dass in ihnen Gott zu erkennen ist. Der Schein des Sichtbaren ist allzu oft trügerisch, darum suchen wir in den Worten nach dem verborgenen Sinn.

Als Christen glauben wir, dass Gott dennoch einen Weg gefunden hat, dass wir ihm ins Angesicht schauen können. Er hat einen Weg gefunden, dass wir Menschen seine Herrlichkeit sehen, ohne daran zugrunde zu gehen. Es ist das Antlitz des Jesus von Nazareth, dessen Geburt wir kürzlich gefeiert haben. Er ist das Gesicht Gottes. In ihm können wir die Herrlichkeit Gottes erkennen. Am Anfang des Joh.ev. heißt es von diesem Jesus(1,1): „Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Und das Wort wurde Fleisch.“ und weiter heißt es (1,14): „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Güte und Wahrheit.“

Wer den „eingeborenen Sohn vom Vater“ nun genauer betrachtet, der wird schnell spüren, dass die gängigen Vorstellungen von Glanz und Herrlichkeit hier nicht greifen. Denn die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht im triumphalen Glanz der Stars und Sternchen, sondern in der liebevollen Solidarität Jesu mit den Leidenden und Schwachen. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht in einem unnahbaren, glanzvollen Schein, sondern im selbstlosen Verzicht Jesu auf jegliche Privilegien, der ihn ins tiefste Dunkel menschlicher Erfahrungen führt. Selbst der Tod bleibt ihm nicht erspart. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht in gewaltiger Ausübung von Herrschaft und Macht, sondern in gewaltfreiem Widerstand gegen Vorurteile, Ausgrenzung und Hass als Weg zum Frieden. Die Herrlichkeit Gottes erstrahlt in herzerwärmender Liebe, die Jesus von Nazareth allen Menschen entgegenbringt und durch die er sogar Tote zum Leben erweckt. Und auch da, wo Menschen ein fröhliches Fest feiern, lässt sich Gottes Herrlichkeit erkennen, wie wir es in der Evangeliumslesung gehört haben. Die Herrlichkeit Gottes stellt uns Menschen nicht in den Schatten, sondern sie erfüllt uns mit dem Licht der Hoffnung und Zuversicht und lässt uns so zu voller Blüte gelangen.

In Jesus Christus lässt Gott uns seine Herrlichkeit schauen. Dieser Anblick lässt niemanden erblinden, wie etwa der ungeschützte Blick in die Sonne. Im Gegenteil. Dieser Anblick schärft unseren Blick für die Nöte und Leiden - im eigenen Leben wie auch im Leben der Menschen um uns herum. Und zugleich schärft er den Blick für die Fülle der Möglichkeiten, die das Leben bereit hält, um Not zu lindern und Freude auszulösen.

Lassen wir uns also nicht blenden vom trügerischen Glanz der Dinge, die uns zu ihrem Sklaven machen wollen und uns die Freiheit nehmen. Richte wir unseren Blick auf Jesus Christus. In ihm erkennen wir die Herrlichkeit Gottes, „voller Güte und Wahrheit“. Oder wie es in Joh. 8,32 heißt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“