Bodelschwingh-Kirchengemeinde in Ledeburg

Die Bodelschwinghkirche

Der folgende Text stammt aus dem Gemeindebrief vom Dezember 1964 anläßlich des 1. Kirchweihfestes am 1.12.1994 - Gedanken des Architekten Prof. Dr.-Ing. W. Rauda zur Gestaltung des Bodelschwingh-kirchengemeindezentrums

Städtebauliche Gesamtanlage - Das neue Kirchengemeindezentrum der Bodelschwinghkirchengemeinde in Hannover-Ledeburg an der Immelmannstraße besteht aus einer städtebaulichen Zuordnung mehrerer Gebäudeteile, die einer gemeinsamen Aufgabe, der Sammlung der neugebildeten Gemeinde zu dienen haben.

Die das Baugrundstück umgebenden viergeschossigen Wohnbauten geben von vornherein den vorgezeichneten städtebaulichen Rahmen. Um nicht von diesen Wohnbauten erdrückt zu werden, wurde das Kirchengemeindezentrum mit der Kirche zu einem verhältnismäßig geschlossenen Baukomplex zusammengefasst; es entstand so die zumindest für Hannover noch neuartige Form der „Kirche im ersten Stock“ – außer dem neuen Athanasiuskirchenzentrum an der Böhmerstraße in der Südstadt und dem Kapellenbau des Henriettenstiftes, eine Baugestaltung, die künftig bei den beengten Grundstücksverhältnissen unserer Großstädte sich immer mehr ergeben wird. Derartige Lösungen auf beengtem Raum haben seit altersher zu außerordentlich reizvollen Lösungen geführt.

Der Hauptzugang zum Kirchenschiff ist bewusst in die Tiefe des offenen Innenhofes zurückverlegt worden. Auf diese Weise ergibt sich eine Wegstrecke und damit ein Abstandnehmen vom Lärm der Straße. Dieses Abstandnehmen zwingt zugleich den Gottesdienstbesucher zu einer inneren Sammlung, zum Zurücklassen der Tagessorgen und zum Offenwerden gegenüber dem Kirchenraum und seinem gottesdienstlichen Geschehen. Das „Auf dem Weg sein“ des Christenmenschen soll vom Baulichen her damit charakterisiert werden.

Der Turm, als Mahner und Glockenträger dagegen, ist weit in den Blickpunkt der Meyenfeldstraße und der Immelmannstraße vorgeschoben worden. Seine Höhe wird durch den vorgelagerten niedrigen Verbindungsgang maßstäblich noch gesteigert. Der offene Innenhof mit dem Verbindungsgang soll der Sammlung der Gemeinde, die sowohl von der Meyenfeldstraße wie von der Immelmannstraße her das Kirchenzentrum betrifft, vor und nach Beendigung kirchlicher Feiern dienen. 

Dieser Freiraum übernimmt damit die alte Raumform des „Paradieses“. In dem sollen festliche Veranstaltungen der Gemeinde, wie das Singen des Jugendkreises, Spiele der Jugend, stattfinden.

Der später östlich angrenzende kleine Innenhof wird als Kristallisationspunkt für den Jugendteil dienen. Er wird als klösterlich umschlossener Bezirk, als „Brunnenhof“, mit einem Brunnen ausgestattet werden. Die Jugend soll hier einmal selbst an der Gestaltung ihres Atriums mitwirken.

Die Baugruppe ist in folgende Bauabschnitte gegliedert:Der zweigeschossige Hauptbau mit dem Gemeindesaal und einer Bühne im Erdgeschoss, einem Konfirmandenraum, der zugleich zur Erweiterung des Saales dient, der Sakristei, der Eingangshalle mit dem Treppenhaus, das zum Kirchenschiff im ersten Stock führt. Der nach der Meyenfeldstraße zu geöffnete Innenhof als Raum der Begegnung; er ist dem Jugendteil vorgelagert.Der freistehende Glockenturm als Dominante, im Schnittpunkt der Meyenfeldstraße mit der Immelmannstraße.Der z. Zt. noch nicht errichtete Jugend- und Verwaltungsteil, im Osten des Hauptbaues; er wird die Jugendräume, den zweiten Konfirmandenraum, einen Raum für die kirchliche Arbeit der Frauen- und Männerkreise und einen kleinen Verwaltungstrakt aufnehmen; die Teeküche und die Heizungszentrale, dem wegen hohen Grundwasserstandes einzigen unterkellerten Raum des gesamten Baukomplexes, sind bereits angelegt.Im Norden des Grundstückes sind später Schwestern- und die Küsterwohnung angeordnet.

Der Gottesdienstbesucher erreicht über eine bequeme zweiläufige Treppe das Kirchenschiff auf der oberen Ebene des Gemeindezentrums. Für Gehbehinderte ist ein Fahrstuhl geplant, der von der Eingangshalle direkt zum Kirchenschiff in der oberen Ebene führt.

Raumbildung - Der konzentriert wirkende Kirchenraum wird durch eine Stützenstellung in Sichtbeton gegliedert, die den Altarbereich seitlich einrahmt und auch die einseitig zur Immelmannstraße zu höher liegende Estrade optisch abgrenzt. Auf dieser seitlichen Estrade sind Orgel, der Kirchenchor und der liturgische Chor angeordnet.

Der Altar bildet mit der rückwärtigen Altarwand, einer Betonplastik, von Bildhauer Greve, Bissendorf, künstlerisch gestaltet, eine Einheit. Der Taufstein ist im Altarraum seitlich, in Richtung zur Immelmannstraße angeordnet; die Außenwandfläche hinter dem Taufstein ist hier in Richtung Immelmannstraße durchbrochen und mit einer vor der Betonfassade frei vorgehängten Reliefplatte gegliedert worden. Das immer wiederkehrende Geschehen der Taufe soll damit auch nach außen hin plastisch sichtbar gemacht werden.

Die Belichtung ist für die Gestaltung des Kirchenraumes besonders charakteristisch. Das Licht wird von der weiß geschlämmten Innenwand der Kirche reflektiert. Dem Licht wird hierbei eine besondere Bedeutung als Träger und Vermittler eines aktiven Geschehens im Kirchenraum zugewiesen. Es werden zwei Lichtzonen unterschieden: Einmal die Belichtung des Gemeindeteils mit dem Leselicht, das durch die von Bode & Breuste gestalteten Dickglasfenster fällt. Es ist hier eine plastisch wirkende Verglasung ohne Thematik gewählt worden. Ferner die Belichtung des Altarbereiches mit dem auf gleicher Ebene liegenden Chor- und Orgelbereich. Dieses hohe Seitenlicht soll nicht durch farbige „Stimmung“ in seiner raumbegrenzenden und zugleich raumerhöhenden Wirkung abgeschwächt werden. Baulich ergibt sich damit eine winkelförmig höhergezogene Zone des Kirchendaches an der West- und Nordseite, die nach innen durch die Stützenstellung der Betonpfeiler gestalterisch markiert ist. Die Decke über dem Gemeindeteil ist in einer Holztafelverkleidung so ausgebildet worden, dass sie gleichsam schwebend und wie eingehangen wirkt.

Außengestaltung - Der Gestaltung der Außenhaut des Stahlbetonhauses ist eine besondere Bedeutung zugemessen worden. Die äußere obere Betonwandfläche des eigentlichen Kirchenschiffes ist durch verschieden starke Bretter leicht plastisch gegliedert worden, so dass sich im Spiel von Licht und Schatten eine lebendige Außenhaut ergibt. Zu dieser hellen, getönten Betonmaserung steht die dunkle Verkleidung des zurückgesetzten Erdgeschosses des Gemeindesaalteiles, in holländischen Handstrichsteinen, im wirksamen Kontrast.

Der Turm mit seiner eigenwilligen, aber charakteristischen, zum Himmel aufstrebenden Form, gibt dem gesamten Baukomplex einen besonderen Akzent.

Seit der Grundsteinlegung am 31.05.1963 und dem Richtfest am 06.11.1963 haben alle am Bau Beteiligten, angefangen vom Bodengutachter Dr. Giese, dem Statiker Dipl.-Ing. Günther mit seinen Helfern, dem Bildhauer Greve und dem Kunstschmied Kerstan, der Baufirma Dipl.-Ing. Schuppert mit seinen Mitarbeitern, dem Gartenarchitekt Westphal, den vielen Bau- und Handwerksfirmen tatkräftig mitgeholfen, den Kirchenbau bis zur heutigen Einweihung zu vollenden.

Kirchbau im zwanzigsten Jahrhundert - Frühere Generationen haben in ihren Kirchbauten oft versucht, ein Sinnbild himmlischer Herrlichkeit zu schaffen. So wuchsen die Dome der Gotik über die übrigen Gebäude hinaus, unterschieden sich von anderen Bauten. Inzwischen vollzieht sich im Denken der Kirche eine Revolution. Wir glauben nicht mehr an einen Gott „oben“ in irgendeinem Himmel. Weltflucht und Weltfremdheit sind keine Bestandteile des christlichen Lebens mehr. Wir wissen, Gott hat uns in die Welt gesandt. Indem uns der Herr der Kirche in die Welt sendet, schickt er uns nicht von sich weg, sondern er geht mit uns. Er begegnet uns in den Hungernden und Notleidenden. Er ist der Urgrund allen Lebens. Christus ist bei uns in Wort und Sakrament. Daher versteht sich, dass heute ein Kirchenbau nicht nur ein Kultraum sein kann. Er muss ein wohnliches Haus sein für alle, die darin aus- und eingehen. Deshalb haben wir um unsere Kirche eine Fülle von Nebenräumen gruppiert: Klubzimmer, Gemeindesaal, Konfirmandenraum, Büro, Küche, Garderobe. Mitte und Herz unseres Gemeindezentrums ist der große, klare Kirchenraum.

Das Wissen, dass Gott in unserer Welt, auch in unserer Industriellen Welt, nicht ferne von einem jeden unter uns ist (Apg. 17, 27), hat auch die künstlerische Gestaltung unseres Kirchbaues durch den Bildhauer Peter Greve aus Bissendorf bestimmt. Das große Relief an der äußeren Altarwand zeigt einen Menschen, umstellt von einer Fülle von Formen, wie wir sie allenthalben um uns haben. Der Mensch leidet, wie wir alle einmal unter der Last des Lebens leiden. „Das ist der Mensch.“ Pontius Pilatus sprach diese Worte, als er den leidenden Christus der johlenden Volksmenge vorstellte. Das ist also die Predigt des Bildes: Gott hat in Jesus meine Gestalt angenommen. Jesus und jeder Mensch sind austauschbar. Das ist unser Glück, denn nur so steht er neben uns, stellt sich unter unsere Last. 

Wer abends müde von seiner Arbeit nach Hause an unserer Kirche vorbeikommt, soll nicht denken: „Ach, ja, der liebe gute Gott da oben im Himmel!“ Er soll sehen und glauben: Gott trägt die Welt. Gott trägt auch dein müdes, abgespanntes Leben, er empfindet auch deine großen und kleinen Freuden.

Ähnliche Gedanken bestimmten auch die Gestaltung der inneren Altarwand. Über dem Altartisch durchdringt eine Betonplastik die gemauerte Wand, deren gewachsene Formen sich im Mittelpunkt zu einer Dornenkrone verdichten. Um den Schmerzensmann auf der Außenseite gruppieren sich gebaute Formen, um die Dornenkrone innen gewachsene Formen. Jedesmal steht das „Göttliche“ nicht allein, sondern Formen unseres Lebens sind ihm zugeordnet. Schließlich hängt an der Kirchenwand zur Immelmannstraße eine Betonplatte. Sie markiert den Punkt, an dem innen die Taufe steht. Auf der Platte erkennt man ein Kreuz im Kreis, hineingestellt in waagerechte fließende Formen.

Diese Bilder lassen sich nicht mit einem Blick „erledigen“. Sie wollen uns zum nachdenken und zur Besinnung rufen und uns die gute Nachricht von der Nähe Gottes zu aller Welt, zu allen Menschen und allen Dingen sagen. Aus diesem Grund haben wir auch einen breiten, einladenden Altartisch ohne besondere Erhöhung in unserer Kirche aufgestellt. Es sollte kein Hochaltar werden, der die Illusion vermittelt, Gott sei doch irgendwo fern und oben. Wir sollten uns beim heiligen Mahl um den Tisch herumstellen und damit bekunden: Wir sind eine Gemeinde und Gott ist mitten unter uns. Kirchbau im zwanzigsten Jahrhundert – das ist Gottes wohnliches Haus mitten in unserem Stadtviertel – das ist ein Zeugnis dafür, dass Gott mitten unter uns wirkt und ruft.

Die Bodelschwinghkirche, von der Immelmannstraße aus gesehen